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„Es ist schön zu sehen, wie sich erstmals Lastenrad-Fahrende auf einem Vier-Meter-Radweg überholen können.“

Ein Interview mit Wolfgang Feigl, Leiter der Abteilung für Verkehrsplanung in Graz.

Wie Graz zu einem 100-Millionen-Euro-Budget kommt und damit eine der führenden Fahrradhauptstädte Europas werden will, darüber sprechen wir mit Wolfgang Feigl, Leiter der Abteilung für Verkehrsplanung

Redaktion: Wie ist er denn entstanden, der „Masterplan Radoffensive“ in Graz?

WF: Oh, das war spannend. Oft hat man Projekte und sucht Geld dafür. In diesem Fall war es so, dass die Politik beschlossen hat, uns Geld zu geben. 100 Millionen Euro für einen Zeitraum von zehn Jahren. Mit dem Ziel, das Radwegenetz massiv zu verbessern.

 

Redaktion: Also ein Koffer voller Geld, noch ohne konkrete Idee? Was muss man tun, damit die Politik so einen Scheck ausstellt?

WF (lacht): Da kann ich nur spekulieren. Wir sind in Sachen Radverkehr in den vergangenen Jahren ins Mittelfeld gerutscht. Die Politik wollte Graz und die Steiermark wieder nach vorn katapultieren. Genau solche mutigen politischen Entscheidungen brauchen wir, um etwas zu bewegen. Und dann gab es noch eine Umfrage, die zeigt, dass doch noch sehr kurze Strecken in Graz mit dem Auto zurückgelegt werden. Einer der Hauptgründe: Die Radinfrastruktur fehlt. Damit war der Bedarf in Sachen Radverkehrsplanung und -umsetzung offensichtlich.

 

Redaktion: Okay, wie sind Sie rangegangen, als das Geld da war?

WF: Zuallererst haben wir ein neues Team aufgebaut, sowohl in der Stadt Graz als auch in der Region, beim Land Steiermark. Jahrelang hatten wir in Graz einen Radverkehrskoordinator, der sich um alles „kümmern“ musste. Unser Radteam besteht mittlerweile aus insgesamt fünf Personen – ganz verschiedener beruflicher Background und nahezu jede Generation. Das ergibt einen guten Querschnitt, wie wir ihn auch in unserer Gesellschaft finden. Eine wichtige Voraussetzung, um Mobilität nah am Menschen zu planen. 

 

Redaktion: Geld und Team also. Check. Und jetzt? Wie haben Sie eine Idee entwickelt?

WF: Stadt und Land haben sich ganz zu Beginn für zwei Tage in eine Klausur begeben. Wir haben uns noch zwei Expert*innen dazu geholt – einen Kommunikationsexperten und einen Radmobilitätsexperten aus der Schweiz. 

 

Redaktion: Spannend, dass Sie die Kommunikation gleich mitgedacht haben. Was sagt der Experte?

WF: Bilder, Bilder, Bilder. Wir Planer können Pläne lesen, aber die breite Öffentlichkeit lässt sich von Bildern und Stimmungen leiten. So visualisieren wir unsere jeweiligen Projekte mittlerweile stets mit Bildern und machen sie für die Menschen auf unserer Website sichtbar. Ganz wichtig auch: die Vorteile nach vorn stellen. Wir kennen das alle: Es gehen wenige Parkplätze verloren, und das löst in der Regel ganz heftige Reaktionen aus. Zu zeigen, wie eine Stadt sich zum Besseren entwickelt, wie sie leiser, emissionsärmer und sicherer wird, hilft, Menschen hinter den Projekten zu vereinen. Und sichtbar machen, was erreicht wird. Wenn eine Anzeige am Straßenrand visualisiert, wie viele Radfahrer hier heute schon lang gefahren sind, zeigt das allen Beteiligten, wie sich die Mobilität verändert. In Echtzeit. 

 

Redaktion: Verstehe. Und welche Ideen haben Sie in der Klausur entwickelt?

WF: Grundsätzlich haben wir uns von einer wichtigen Maxime leiten lassen. Wir wollen den Radverkehr für Menschen im Alter von 8 Jahren und für Menschen mit 80 planen. Wenn es für diese Menschen passt, dann passt es in der Regel auch für alle dazwischen. Ein konkretes Ergebnis der Session war der Vier-Meter-Radweg. Jahrelang haben wir nur 2,50-Meter breite Radwege gebaut. Es ist wirklich schön zu sehen, wie sich auch Lastenrad-Fahrende nun auf ersten Abschnitten überholen können. 

 

Redaktion: Ja, das würde mich auch begeistern! Wenn Sie den Raum derart neu aufteilen, geht das dann zu Lasten des Fußverkehrs?

WF: Oh nein. Ein wichtiges Prinzip des Masterplans ist, dass durch die Verbesserungen des Radverkehrs weder der Fußverkehr noch der ÖPNV verschlechtert werden dürfen. Wir wollen schließlich die gesamte sanfte Mobilität unterstützen.

 

Redaktion: Wie realisieren Sie die Maßnahmen im Zusammenspiel zwischen Stadt und Land?

WF: Ein ganz wichtiger Punkt. Sämtliche Maßnahmen müssen wir immer gemeinsam mit dem Land, als Region, angehen. Wir denken die Maßnahmen konsequent stadtgrenzen-übergreifend. Heißt auch: Egal, wem die Straße gehört, wir teilen uns die Kosten für den Radweg.

 

Redaktion: Okay, der Plan steht, wie stelle ich mir die Umsetzung vor? Wie sehen die Arbeitstage in Ihrem Team aus?

WF: Wir haben die Stadt in fünf Sektoren unterteilt – vier Quadranten und einen Innenstadtbereich. Damit hat jede*r Kolleg*in einen ganz konkreten Bereich, den er oder sie verantwortet, plant und realisiert – zumeist mit den Fachabteilungen für Grünflächen und Gewässer, Stadtplanung und den Behörden. Und alle 14 Tage trifft sich das gesamte Team aus Stadt und Land, um auf den Stand der Projekte zu schauen.  

 

Redaktion: Und, wo stehen Sie heute? Sechs Jahre vor Deadline? 

WF: Wir haben bereits eine Menge geschafft. Und wir werden richtige Brocken bauen, wie die große Rad- und Fußgängerbrücke im Süden von Graz, entlang einer Autobahn. Solche großen Projekte wären ohne die Radoffensive nie möglich gewesen. Wir werden in sechs Jahren das Geld vermutlich verbraucht haben – jedoch nicht fertig sein. Es wird weitergehen müssen.

 

Redaktion: Sind Sie optimistisch, dass frisches Geld kommt?

WF: Nun, die Kugel rollt. Sie rollt und wird dabei immer größer. Und ich bin sicher, sie wird nicht anhalten. Und nicht angehalten werden. Auch mit einer nächsten Regierung bin ich sicher, dass wir am Radverkehr dranbleiben dürfen. 

 

Redaktion: Zum Abschluss, was möchten Sie anderen Städten und Kommunen mitgeben?

WF: Es braucht am Anfang eine große Portion Geduld. Bevor es wirklich an die Umsetzung der Maßnahmen geht, muss erst einmal die Infrastruktur aus personellen und finanziellen Ressourcen stehen. Es braucht entsprechende Gutachten, auch Abstimmung mit den Behörden. Wenn Kommunen das Fundament gut und tragfähig bauen, geht es später in der Umsetzung schneller. Dann holt man die Zeit wieder rein. 

 

Vielen Dank für das spannende Gespräch, Wolfgang Feigl!

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