Sozial gerechte Mobilität – das Fundament steht
In der bisherigen Verkehrsplanung spielen soziale Hintergründe kaum eine Rolle. In der Regel wird für eine Durchschnittsperson geplant. Diese ist gut informiert, kann den Weg zur Station zurücklegen, sie nutzt eine App, um an die Fahrplaninfos zu kommen. Sie traut sich, in den Bus zu steigen. Und sie hat selbstverständlich das Geld dafür, sich ein Ticket zu kaufen. Möglicherweise wird also ein Bus geplant, der später gar nicht genutzt wird. Und man fragt sich, warum? Wenn in die Planung einfließt, welche finanziellen Möglichkeiten die Bevölkerung vor Ort hat und welche Mobilitätsoptionen ihr daher grundsätzlich zur Verfügung stehen, dann muss vielleicht ganz anders geplant werden. Vielleicht muss der Bus eine andere Strecke fahren. Vielleicht sind On-Demand-Angebote besser. Vielleicht braucht es andere Zeiten, damit geringfügig Beschäftigte frühmorgens zur Schicht kommen.
Von der anderen Seite geblickt, besteht das gleiche Problem. Wenn soziale Einrichtungen geplant werden, dann spielt bei der Standortfrage bisher keine Rolle, wie die Menschen, für die diese Einrichtungen gedacht sind, überhaupt dorthin kommen. Die Erreichbarkeit wird als gegeben vorausgesetzt. Und am Ende fragen sich die Teams vor Ort: Ja, warum kommt denn jetzt niemand? Das ist nicht nur auf individueller Ebene fatal. Es hat auch eine hohe gesellschaftliche Relevanz. Es geht um Daseinsvorsorge – darum, vulnerable Gruppen aufzufangen. Und wir erkennen, dass das eben nicht nur Aufgabe der Sozialplanung, sondern auch eine Aufgabe der Verkehrsplanung ist.
Social2Mobility schließt die Lücke
Dieses Nebeneinander der beiden Bereich ist genau deshalb ein großes Problem, weil sich Soziale Teilhabe insbesondere in der Möglichkeit, mobil zu sein, äußert.
In der Möglichkeit, einzukaufen, Freizeit zu gestalten. Sie äußert sich in der Frage, welche Arbeitsstelle ich wählen kann, welche Schulstandorte für meine Kinder in Frage kommen und wie ich mich politisch engagieren kann. Mobilität ist etwas, das die Lebensgestaltung erst ermöglicht. Die Zielgruppe, die mit Mobilitätshürden kämpft, ist groß. Aktuell jede sechste Person. Grund genug, diese Lücke endlich zu schließen. Das Projekt „Social2Mobility“ hat genau das geschafft. Als Kooperationsprojekt zwischen der Region Hannover, dem Fachbereich Verkehr und der Stabsstelle Sozialplanung, der Universität Kassel und der Universität in Frankfurt am Main sowie dem Ingenieurbüro WVI Prof. Dr. Wermuth Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung in Braunschweig wurde die Forschungslücke zwischen Mobilität und Teilhabe geschlossen und Maßnahmen zur sozial gerechten Mobilität entwickelt und ausprobiert.
Handlungsleitfaden für Kommunen
Im Projekt Social2Mobility sind vielseitige Erkenntnisse zum Zusammenhang von finanzieller Armut, Mobilität und sozialer Teilhabe generiert worden.
Auf Grundlage der Erkenntnisse und Erfahrungen, die im Projekt „Social2Mobility“ gesammelt werden konnten, wurden fünf Handlungsfelder identifiziert:
- Zusammenarbeit zwischen Verkehrs-, Raum- und Sozialplanung stärken
- Experimente wagen – Menschen beteiligen und Lösungen entwickeln
- Potentiale gegenseitig nutzen/ Teil 1 – Anwendung von Verkehrsnachfragemodellen in der Sozial- und Raumplanung
- Potentiale gegenseitig nutzen/ Teil 2 – Diversität und unterschiedliche Lebenslagen in der Verkehrsplanung stärker einbeziehen
- Maßnahmen zur Steigerung der Mobilität und sozialen Teilhabe bei armutsgefährdeten Personen
Am Ende des Forschungsprojektes liegt jetzt ein Handlungsleitfaden vor, der Kommunen befähigt, Mobilitätsmaßnahmen so umzusetzen, dass sie auch Menschen mit geringem Einkommen zur Verfügung stehen. Die Erkenntnisse aus dem Projekt fließen sowohl in den Verkehrsentwicklungsplan als auch in die Sozialplanung ein.
Und im Jahr 2023 wurden sie in einem Sammelband veröffentlicht.
„Das Fundament für eine sozialgerechte Verkehrsplanung steht“, freut sich Melanie Saraval, Koordinatorin des Mobilnetzwerkes der Region Hannover. „Mit dem konkreten Handlungsleitfaden sind die Kommunen befähigt, die bewährten Maßnahmen vor Ort umzusetzen.“
Hier finden Sie zusätzlich das dazugehörige Briefing und die konkreten Handlungsansätze und Prinzipien des Projekts als Download.