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„Wie wir uns in Städten bewegen, ist ein zentrales Thema, das uns alle betrifft.“

Ein Interview mit Janna Aljets, Projektleitung Städtische Mobilität der Agora Verkehrswende.

Dass Tempo 30 nur die Spitze des Eisberges ist und warum es zwingend eine Veränderung des Straßenverkehrsrechts braucht – darüber sprechen wir mit Janna Aljets von der Agora Verkehrswende.

Redaktion: Sie beschäftigen sich seit einigen Jahren mit der Temporeduktion. Warum ausgerechnet dieses Thema? 

JA: Oh, ich bin sogar noch viel nerdiger unterwegs. Was mich eigentlich umtreibt, ist die Reform des Straßenverkehrsrechts. Des rechtlichen Rahmens, der die Regeln dafür festlegt, wie wir uns auf der Straße fortbewegen. Der Bereich der Geschwindigkeitsbegrenzungen ist nur ein Teil dieses Rechtsrahmens und derjenige, der die meiste öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zieht. Mich interessiert aber vor allem das Regelwerk selbst. 

Redaktion: Inwiefern?

JA: Nun, dieser Rechtsrahmen wurde entwickelt, als man "autogerechte" Städte mit „freier Fahrt für freie Bürger“ schaffen wollte. Damals gab es nur wenige Fahrzeuge. Angesichts der verkehrsbedingten Klimaemissionen, der überfüllten Städte und der Notwendigkeit, unsere Städte umzubauen und den Verkehr anders zu lenken, stellt sich die Frage, was die Kommunen tun können. Dabei geht es nicht nur um die Bereitstellung von Personal und Ideen, sondern vor allem auch um die Frage, in welchem rechtlichen Rahmen sie agieren können. Das fasziniert mich im Moment besonders.

Redaktion: Wie dürfen wir uns diese Faszination vorstellen? Was tun Sie konkret?

JA: Meine Aufgabe besteht oft darin, die komplexen juristischen Diskussionen in politisch-journalistische Inhalte zu übersetzen. Das finde ich spannend. Viele Menschen schalten bei solchen Fachdiskussionen ab und verstehen nicht, wie diese ihr Leben tatsächlich beeinflussen. Die Art und Weise, wie wir uns vor allem in den Städten bewegen, ist ein zentrales Thema, das uns alle betrifft. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Übersetzungsleistungen erbringen, um diese Themen verständlich zu machen.

Redaktion: Sehen Sie Fortschritte in diesem Verständigungsprozess?

JA: Seit unserer Gründung 2016 arbeiten wir mit der Agora Verkehrswende intensiv mit Kommunen in ganz Deutschland an der Verkehrswende. Wir stellen fest, dass gerade auf kommunaler Ebene inzwischen ein großer Wille zur Veränderung vorhanden ist. Wir ermutigen und unterstützen die Kommunen, die sich bereits auf den Weg gemacht haben. Sie sind es, die am nächsten an den Bürgerinnen und Bürgern sind und eine neue Stadt- und Verkehrsplanung wollen. Sie wollen mehr Radwege, bessere Fußwege und eine bessere Mobilität für benachteiligte Gruppen. Sie wollen eine Stadt, die nicht nur auf das Auto ausgerichtet ist, eine Stadt, die mehr Grünflächen als Parkplätze bietet. 

Redaktion: Wie genau sieht denn die Unterstützung aus?

JA: Wir unterstützen die Kommunen dabei, ihre Maßnahmen auf die Straße zu bringen. Dabei legen wir Wert auf den Austausch von Wissen und Erfahrungen. Durch Veranstaltungen wie die jährliche Städtekonferenz der Agora fördern wir den Wissensaustausch zwischen Städten. Wir erstellen Studien und Faktenblätter zu relevanten Themen und machen das Wissen zugänglich. Der regelmäßige Austausch mit verschiedenen Kommunen hilft uns, Handlungsbedarf zu identifizieren und gezielte Lösungen zu entwickeln. Denn uns ist bewusst, dass die Kommunen ihre lokalen Herausforderungen und die Bedürfnisse ihrer Bürgerinnen und Bürger am besten kennen. 

Redaktion: Auf welches Ziel steuern Sie dabei zu?

JA: Die Mission von Agora Verkehrswende ist es, Strategien und Lösungen zu entwickeln, um den Verkehrssektor bis 2045 klimaneutral zu gestalten. Dabei konzentrieren wir uns auf zwei wichtige Säulen: die Elektrifizierung des Verkehrs, um Emissionen zu reduzieren, und die Förderung alternativer Verkehrsmittel, um die Zahl der gefahrenen Kilometer zu verringern. Ziel ist es, parteiübergreifend mit Vertretern und Vertreterinnen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Medien und Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten, um diese Verkehrswende zu erreichen. Dabei geht es nicht nur um die Reduzierung von Emissionen, sondern auch um die Schaffung von Flächengerechtigkeit mit der Perspektive, das Potenzial der Verkehrswende voll auszuschöpfen und die Lebensqualität in urbanen Räumen zu verbessern. Gegenwärtig sind viele städtische Gebiete von Autos dominiert, es fehlen sichere Radwege, Grünflächen, Begegnungszonen und verkehrsberuhigte Bereiche. Im Rahmen der Klimakrise erkennen wir, dass wir eine andere Ausrichtung brauchen, um bessere Bedingungen für alle zu schaffen.

Redaktion: Da stecken Sie einen ziemlich großen Rahmen ab. Wie passt Tempo 30 da hinein?

JA: Hier schließt sich der Kreis zur Reform des Straßenverkehrsrechts, die im neuen Koalitionsvertrag bereits vereinbart ist. Es sollen nun neben Verkehrssicherheit und Verkehrsleichtigkeit auch Umweltschutz, Gesundheit und städtebauliche Entwicklung als Ziele aufgenommen werden. Dies zeigt, dass der Verkehr verschiedene Bereiche beeinflusst. Die Ziele sind daher oft miteinander verbunden. Tempo 30 beispielsweise steigert die Lebensqualität, reduziert die Lärmbelästigung und erhöht die Sicherheit im Straßenverkehr. 

Redaktion: Und wie geht es damit weiter? Hat das Thema eine Chance?

JA: Oh ja, ich sehe in dieser Legislaturperiode eine historische Chance, da die Regierungskoalition sich deutlich das Ziel gesetzt hat, den rechtlichen Rahmen zu verändern. Das Straßenverkehrsgesetz muss mit den genannten Zielen vom Bundestag verabschiedet werden und klar im Gesetz verankert werden. Danach müssen die vielen kleinen Regelungen in der Straßenverkehrsordnung angepasst werden. 

Redaktion: Mal eine Feenfrage: Wie sieht die Stadt Ihrer Träume aus?

JA: In der Stadt meiner Träume ist das private Auto, insbesondere mit Verbrennungsmotor, eine Ausnahme. Stattdessen haben wir ein gut ausgebautes, erschwingliches öffentliches Verkehrssystem, das uns alle problemlos von A nach B bringt. Wir haben ausreichend Platz für Fahrradfahrer und Fußgängerinnen. Angesichts des immer heißer werdenden Klimas sind Grünflächen und Begegnungszonen in meiner idealen Stadt unverzichtbar, um die Resilienz zu stärken und soziale Isolation zu vermeiden. Es ist wichtig, dass wir nicht-kommerzielle Räume in unserer Nachbarschaft schaffen, in denen wir uns stressfrei begegnen können. Und die Perspektive des einen Meters öfter einnehmen.

Redaktion: Ein Meter?

JA: Genau. Ein Meter ist das Maß, das die Sicht von Rollstuhlfahrenden und kleinen Kindern in der Verkehrsplanung repräsentiert – auf dieser Höhe sehen sie und werden gesehen. Dies erfordert zum Beispiel eine Reduzierung der Geschwindigkeiten in Wohngebieten, um ein sicheres Umfeld für alle zu schaffen.

Redaktion: Was macht denn die Agora Verkehrswende, wenn das alles erledigt ist?

JA: Unser langfristiges Ziel ist es natürlich, uns selbst überflüssig zu machen. Aktuell haben wir Förderzusagen bis 2030, aber es ist unwahrscheinlich, dass alle unsere Ziele bis dahin erreicht werden. Die Vision ist, dass wir eines Tages einen dekarbonisierten Verkehrssektor haben und eine höhere Lebensqualität genießen, so dass wir uns auf andere Themen konzentrieren können.

Herzlichen Dank, Janna Aljets, für das interessante Gespräch!

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