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Warum kommt denn jetzt niemand?

Ein Interview mit Moritz Engbers, Koordinator des Projektes „Social2mobility“

Warum gerade Fahrradmobilität Unterstützung braucht und es eben nicht egal ist, wo soziale Einrichtungen entstehen – darüber sprechen wir mit dem Nachhaltigkeitsexperten Moritz Engbers.

 

Social2mobility klingt fast ein bisschen fancy. Was genau verbirgt sich dahinter?

Moritz Engbers: (schmunzelt) Ja, eine Bezeichnung wie „Social2mobility“ ist in der Forschung sehr üblich, in Verwaltungen hingegen manchmal gewöhnungsbedürftig. Im Grunde geht es jedoch um etwas, das uns alle eint – nämlich darum, Menschen Mobilität zu ermöglichen. Und zwar insbesondere Menschen mit geringem Einkommen. Daran arbeiten wir. 

Wer ist wir?

Moritz Engbers: „Social2mobility“ ist ein Kooperationsprojekt zwischen der Region Hannover, mit dem Fachbereich Verkehr und der Stabsstelle Sozialplanung, der Universität Kassel und der Universität in Frankfurt am Main sowie dem Ingenieurbüro WVI Prof. Dr. Wermuth Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung in Braunschweig. Es geht darum, den Zusammenhang zwischen Mobilität und sozialer Teilhabe zu erforschen und praktische Maßnahmen zu entwickeln. Der Impuls kam vor allem aus der wissenschaftlichen Richtung. Es wurde zwar zu Mobilität und zur sozialen Teilhabe viel geforscht. Separat. Aber genau zu der Verbindung – also zur Schnittstelle zwischen Verkehrs- und Sozialplanung – gibt es eine Forschungslücke. Und es fehlen praktische Ansätze an dieser Schnittstelle.

Warum ist das ein Problem?

Moritz Engbers: Soziale Teilhabe äußert sich in der Möglichkeit, einzukaufen, Freizeit zu gestalten. Sie äußert sich in der Frage, welche Arbeitsstelle ich wählen kann, welche Schulstandorte für meine Kinder in Frage kommen und wie ich mich politisch engagieren kann. Und bei den meisten Tätigkeiten muss ich schlicht das Haus verlassen. Ich muss mobil sein, um an der Gesellschaft teilhaben zu können. Mobilität ist etwas, das die Lebensgestaltung erst ermöglicht. Wir haben festgestellt, dass geringverdienende Personen, also Personen, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens haben, deutlich größere Mobilitätshürden haben. Das ist aktuell jede sechste Person. 

Und das ist wahrscheinlich noch nicht das Ende der Fahnenstange…

Moritz Engbers: Nein, sicher nicht. Aktuell nimmt diese Gruppe eher zu als ab.

Wie sieht die Forschungslücke, von der Sie sprachen, ganz praktisch aus?

Moritz Engbers: Schauen Sie: In der Verkehrsplanung wird oft für eine Durchschnittsperson geplant. Diese ist gut informiert, kann den Weg zur Station zurücklegen, sie nutzt eine App, um an die Fahrplaninfos zu kommen. Sie traut sich, in den Bus zu steigen. Und sie hat selbstverständlich das Geld dafür, sich ein Ticket zu kaufen. In der bisherigen Verkehrsplanung spielen soziale Hintergründe kaum keine Rolle. Vielleicht noch das Alter der Bevölkerung vor Ort, der Erwerbsstatus und welches Fahrzeug sie hat. Mehr oft nicht. Ich plane also möglicherweise einen Bus, der später gar nicht genutzt wird. Und man fragt sich, warum? Wenn in die Planung einfließt, welche finanziellen Möglichkeiten die Bevölkerung vor Ort hat und welche Mobilitätsoptionen ihr daher grundsätzlich zur Verfügung stehen, dann muss ich vielleicht ganz anders planen. Vielleicht muss der Bus eine andere Strecke fahren. Vielleicht sind On-Demand-Angebote besser. Vielleicht braucht es andere Zeiten, damit geringfügig Beschäftigte frühmorgens zur Schicht kommen. 

Verstanden. Und wie sieht der Zusammenhang aus der anderen Richtung aus? Wo muss Mobilität bei der Sozialplanung mitgedacht werden? 

Moritz Engbers: Wenn heute soziale Einrichtungen geplant werden, dann spielt bei der Standortfrage bisher keine Rolle, wie die Menschen, für die diese Einrichtungen gedacht sind, überhaupt dorthin kommen. Die Erreichbarkeit wird als gegeben vorausgesetzt. Und am Ende fragen sich die Teams vor Ort: Ja, warum kommt denn jetzt niemand? Das ist nicht nur auf individueller Ebene fatal. Es hat auch eine hohe gesellschaftliche Relevanz. Es geht um Daseinsvorsorge – darum, vulnerable Gruppen aufzufangen. Und wir erkennen, dass das eben nicht nur Aufgabe der Sozialplanung, sondern auch eine Aufgabe der Verkehrsplanung ist.

Zu Beginn des Projektes, im Jahr 2020, haben Sie in Ronnenberg eine Umfrage unter von Armut bedrohten Haushalten durchgeführt. Sie war der Schlüssel für die Ausgestaltung der konkreten Maßnahmen, richtig? 

Moritz Engbers: Ja, Ronnenberg ist unsere Pilot-Kommune. Hier gibt es einen relativ hohen Anteil von Personen mit Transferleistungen. Ronnenberg hat mit Empelde sowohl einen städtischen Bezug als auch selbst eine dörfliche Struktur. Damit eignet sie sich besonders gut, um maßgebliche Erkenntnisse zu gewinnen. Darüber hinaus haben wir Interviews geführt und Mobilitätsexperimente gestartet.

Die Umfrageergebnisse in Kürze?

Moritz Engbers: Die Umfrage ergab vor allem, dass die Haushalte weniger Zeitkarten haben und ihre Wege vorrangig zu Fuß zurücklegen. Obwohl die Distanz der Ziele es hergibt, wird kaum das Rad genutzt. Kinder lernen verhältnismäßig spät Radfahren. So setzt sich eine eingeschränkte Mobilität in der Biographie fort. Viele Menschen haben ein Auto, obwohl sie es sich nicht leisten können. Sie haben oder sehen keine Möglichkeit, ihren Alltag mit den Wegeketten aus Kita, Arbeit und verschiedenen Discountern ohne Auto zu bewerkstelligen. Das Geld fürs Auto wird beim Kauf von Lebensmitteln und in der Freizeit eingespart.

Welche Konsequenzen haben Sie gezogen?

Moritz Engbers: Wir sehen ein großes Potenzial in der Fahrradmobilität. Sie ist vergleichsweise günstig und kann so bereits kurzfristig die Teilhabe der Menschen mit geringem Einkommen ermöglichen.

Eine Hauswurfsendung zu Fahrradkursen wird es nicht richten. Wie sehen die konkreten Maßnahmen aus?

Moritz Engbers: Stimmt. Ganz wichtig ist eine Vernetzung der Maßnahmen. Es geht nicht nur darum, Fahrradkurse anzubieten, sondern auch um Fragen wie: Wo kriege ich ein günstiges Fahrrad her? Wo liegen kostenlose Ziele? Wie kann ich mein Rad kostengünstig instand halten? Es geht um Regenkleidung. Darum, zu üben, mit dem Anhänger zu fahren oder Lasten zu transportieren. Wichtig dabei: Bei diesen Maßnahmen geht es immer darum, etwas auszuprobieren. Wir wollen verstehen, woran es hakt. Ist es die Infrastruktur? Ist es die Fähigkeit, Rad zu fahren? Sind es die Ziele, die fehlen? Ist es das Einbinden in den Alltag? Wir evaluieren regelmäßig, ob die Maßnahmen helfen – sowohl durch Vorher-Nachher-Umfragen als auch durch qualitative Interviews. 

Geht es nur ums Rad?

Moritz Engbers: Nein. In der ersten Projektphase haben wir verschiedene Maßnahmen im Rahmen eines Reallabors ausprobiert.

Heißt?

Moritz Engbers: Nehmen wir das sogenannte Quartiersticket: Im Quartierstreff in Empelde konnten sich Personen ein Ticket ausleihen, um einen Tag lang damit zu fahren. Mit konkretem Nutzen: Die Menschen in Ronnenberg haben den Quartierstreff kennengelernt und können ihn zukünftig für sich nutzen. Und wir haben die anfängliche Hürde, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, genommen. 

Profitiert am Ende nur Ronnenberg?

Moritz Engbers: Nein. Inzwischen arbeiten wir nicht nur mit Ronnenberg zusammen, sondern auch mit den Kommunen Langenhagen und Laatzen. So ziehen wir den Radius der Maßnahmen größer. Perspektivisch wollen wir Kommunen einen Handlungsleitfaden zur Verfügung stellen, der sie befähigt, Mobilitätsmaßnahmen so umzusetzen, dass sie auch Menschen mit geringem Einkommen zur Verfügung stehen. Unsere Erkenntnisse fließen sowohl in den Verkehrsentwicklungsplan als auch in die Sozialplanung ein. 

Wo ist der Anknüpfungspunkt zum Mobilnetzwerk?

Moritz Engbers: Der liegt für mich im Wesentlichen darin, diesen bisher unterrepräsentierten Fokus einzubringen. Nämlich die große Rolle, die das Einkommen bei der Nutzung von Mobilitätsangeboten spielt. Wir wollen zeigen, wie Maßnahmen für genau diese Menschen aussehen können. Gemeinsam mit dem Mobilnetzwerk wollen wir Kommunen dabei stärken, diese Zielgruppe abzuholen. 

Herzlichen Dank, Moritz Engbers, für das interessante Gespräch!

 

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