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„Unser Kurs ist nicht mehr umkehrbar.“

Ein Interview mit Ulf-Birger Franz, Dezernent für Verkehr in der Region Hannover

Warum verbindliche Entscheidungen für die Mobilitätswende zentral sind und inwiefern der Verkehrsentwicklungsplan (VEP) die richtigen Weichen für die Region stellt.

Herr Franz, der VEP ist beschlossen. Ein großer Schritt für die Menschheit? 

UBF (schmunzelt): Naja, vielleicht nicht ganz. Aber doch ein ganz zentraler Schritt. Der Verkehrsentwicklungsplan, kurz VEP, gibt eine Orientierung, wo wir gemeinsam hinwollen. Einen Plan, nach dem wir die Dinge angehen wollen. 

Warum ist der so wichtig?

UBF: Wenn wir eine erfolgreiche Verkehrswende betreiben wollen, dann ist das ein Langstreckenlauf und kein Sprint. Als Beispiel: Die Stadt Utrecht hat in den 60er Jahren entschieden, fahrradfreundlich zu werden und die Umsetzung dauert bis heute an. Über Jahrzehnte wurden hier Maßnahmen umgesetzt, geleitet von einer klaren Vorstellung, einem klaren Ziel. Wenn wir im VEP formulieren, dass wir den Radverkehr und den ÖPNV verdoppeln und den Autoverkehr halbieren möchten, dann schaffen wir eine klare Orientierung für unsere Städte und Gemeinden und für alle, die daran arbeiten. Nur so lassen sich Energien fokussiert einsetzen und vor allem: Nur so lassen sich die Menschen in unserer Region mitnehmen. 

A propos mitnehmen… Der VEP hat mehr als 300 Seiten. Das wird sich nur schwer jemand durchlesen. Wenn Sie jemand im Fahrstuhl fragt, was im VEP Neues drin steht – Was sagen Sie?

UBF: Erzählen würde ich wahrscheinlich vor allem etwas über die Verbesserungen des ÖPNV, die im VEP festgelegt sind. Dass wir zum Beispiel im Hannoverschen Stadtbahnnetz erstmals so etwas wie eine Ringverbindung aufbauen wollen. Dafür werden wir im Osten der Stadt eine Verbindung schaffen, die den Neubau der medizinischen Hochschule mit Stadtteilen wie Kleefeld und der List verbindet. Das ist neu, weil unser Stadtbahnsystem bisher sternförmig auf die Hannoversche Innenstadt ausgerichtet war. 

Neu ist auch, dass wir den S-Bahn-Verkehr im Umland verdoppeln wollen. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit der Deutschen Bahn und der Landesnahverkehrsgesellschaft soll die Voraussetzungen für die nötige Infrastruktur definieren. 

Und übrigens: Wer sich nicht durch das umfassende Programm arbeiten will, der findet am Ende des Papiers eine gute Zusammenfassung.

Guter Tipp. Der VEP funktioniert nur, wenn die Kommunen mitziehen. Wie kann das Ihrer Meinung nach gelingen?

UBF: Stimmt. Wenn wir erfolgreich etwas verändern wollen, dann geht das nur gemeinsam. Wir als Region können dafür sorgen, dass die nötige Infrastruktur geschaffen wird. Beispielsweise werden wir demnächst das On-Demand-Projekt „sprinti“ auf zwölf Kommunen in der Region Hannover ausrollen. Insgesamt merken wir, dass in den Kommunen viel passiert. Insbesondere die Themen Fahrradinfrastruktur, aber auch Tempo 30 in den Ortsdurchfahrten sind hier besonders präsent. Natürlich gibt es da auch immer Widerstand. In diesem politischen Aushandlungsprozess brauchen wir Rückgrat, um das durchzusetzen. Wir wissen, dass wir auf einem guten Weg sind. Wir sind froh darüber, dass dieser Kurs in der Verkehrswende so parteiübergreifend mitgetragen wird. Das gibt uns gemeinsam die Kraft, die Dinge auch umzusetzen. 

Welche Rolle hat das Mobilnetzwerk im VEP und für die Erreichung der Ziele?

UBF: Das Mobilnetzwerk ist entscheidend, um solche wichtigen Verkehrsentwicklungsprozesse zu organisieren, zu begleiten und auch um Multiplikator*innen anzusprechen. Als großes Netzwerk der Region ist es in der Lage, Menschen zu gewinnen, die aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen kommen und vielleicht eben keine klassischen Umweltaktivist*innen sind. Das Mobilnetzwerk steht im engen Austausch mit den Entscheider*innen in den Kommunen der Region, berät diese bei der Umsetzung von Maßnahmen zur nachhaltigen Mobilität und stellt auch ganz konkrete Unterstützungsangebote bereit. In der Breite mehr Menschen zu haben, die sich aktiv für Veränderungsprozesse einsetzen, ist genau das, was wir brauchen. Und da ist das Mobilnetzwerk ein ganz zentraler Baustein. 

An welchen Projekten lässt sich die Verkehrswende für die Menschen schon greifbar machen?

UBF: Ein gutes Beispiel dafür ist das Projekt Tempo 30 in Ortsdurchfahrten. Gesetzlich ist das ja aktuell noch nicht ganz einfach, aber in der Region Hannover wird es ein Modellprojekt geben, bei dem genau das mit über 20 Ortsdurchfahrten getestet werden soll. Für dieses Projekt haben sich mehr als 100 Strecken beworben, zum Teil mit einstimmigen Ortsratsbeschlüssen. Wir sind richtig überrollt worden mit Nachfragen, und das zeigt, dass sich das Bewusstsein verändert.

Was ist bei der Umsetzung als nächstes geplant? Worauf dürfen sich die Menschen in der Region Hannover freuen?

UBF: Konkret planen wir den Ausbau des On-Demand-Angebotes im ländlichen Raum. Außerdem beginnen wir noch in diesem Jahr mit dem Bau einer kleinen Fahrradautobahn. Diese soll 54 Kilometer entlang des Mittellandkanals einmal durch die Region führen. Auch entlang des Stichkanals Linden, der in Richtung Innenstadt abbiegt, wird es einen großen Fahrradschnellweg geben. Dieser soll sich nach niederländischen Standards richten, also eine relativ breite Asphaltpiste haben und in Teilen auch beleuchtet sein. Diese Strecken sollen nicht nur für Menschen, die zwischen Hannovers Osten und Westen pendeln, sondern auch für jene, die aus dem Umland nach Hannover kommen, eine attraktive Verbindung schaffen. Der Bau soll nächstes Jahr beginnen.

Das werden die Kommunen kaum allein finanzieren können. Welche finanziellen Ressourcen kommen von Bund und Ländern?

UFB: Der Bau des Radwegs am Mittellandkanals beispielsweise wird vom Bund mit 90 Prozent gefördert. Für andere Projekte wie das On-Demand-Angebot im ländlichen Raum gibt es bis jetzt noch keine wirkliche Förderkulisse. Als ÖPNV-Modellregion bekommen wir das On-Demand-System jedoch bis Ende 2024 finanziert. Ich bin mir aber sicher, dass 2024 niemand mehr auf das On-Demand-Angebot und auf unseren sprinti verzichten wird. Das wird den Druck erhöhen, das System dauerhaft zu sichern und eine entsprechende Förderkulisse bereitzustellen. Es ist ganz wichtig, dass Bund und Länder mitmachen. Es braucht eine gemeinsam getragene Politik, wenn wir diese Veränderungen erfolgreich umsetzen wollen. 

Das sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Wie passt das politische System mit einer nachhaltigen Orientierung zusammen? 

UBF: Insgesamt habe ich das Gefühl, dass der Kurs, den wir jetzt haben, nicht einfach umkehrbar ist. Mit dem, was wir jetzt implementieren und entwickeln, verändern wir unsere Region. Indem wir Räume gestalten und Bewusstsein verändern, werden unsere Maßnahmen nachhaltig. Menschen fühlen sich mehr und mehr herausgefordert, etwas zum Thema Mobilität beizutragen, auch wenn sie es in der Vergangenheit nicht getan haben. Wir arbeiten mit Schulklassen und Jugendparlamenten zusammen – mit jungen Menschen, die die Mobilitätswende prägen werden – unabhängig von einzelnen politischen Mehrheiten.  

Vielen Dank für das spannende Gespräch, Ulf-Birger Franz.

 

 

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