Von Nachhaltigkeit bis Mobilität – große Räder scheinen Sie nicht abzuschrecken.
(Schmunzelt). Stimmt, Themen, die unser Leben ein Stück lebenswerter machen, haben mich schon ganz früh interessiert. Ob gemeinsam mit Greenpeace oder beim Aufbau eines Carsharing-Systems, ich sehe in den verschiedenen Feldern große Möglichkeiten, etwas zu ändern. Das spornt mich ungeheuer an – auch wenn große Räder in der Bewegung ganz schön kräftezehrend sein können.
Wie ist schließlich die Mobilität zu Ihrem Kernthema geworden?
Ich habe in verschiedenen Projekten ein umfassendes Spektrum an möglichen Mobilitätsformen kennengelernt. Dabei rankten sich Diskussionen immer wieder um technische Features. Das greift für mich viel zu kurz. Mir fehlt der menschenzentrierte Blick. Bisher arbeitet Mobilität am Menschen vorbei. Da will ich ran.
Worin zeigt sich denn dieses Missverhältnis?
In unserem gemeinsamen Alltag haben sich Strecken durch das Auto immer weiter vergrößert. So weit, dass Orte in unerreichbare Fahrradecken gerückt sind. Heute sehen Menschen im Auto in erster Linie die Lösung – nach dem Motto: „Gott sei Dank, mit dem Auto funktioniert das alles.“ Da sind wir beim Kern des Problems. Das Auto ist keine Lösung, sondern beinhaltet vielmehr eine Abhängigkeit. Was ist denn, wenn du dir beispielsweise den Fuß brichst? Es ist doch grotesk, wenn dann Szenarien aufgemacht werden, die dafür sorgen, dass dich jemand fährt. Ein Produkt, das so abhängig macht, dass uns kein Substitut einfällt, kann keine gute Lösung sein. Hinzu kommt, dass 13 Millionen Menschen in Deutschland diese Mobilität gar nicht leben können.
Auf dem Land ist diese Abhängigkeit besonders spürbar. Hier wird fast schon reflexartig versichert, dass eine Mobilität ohne Auto nicht möglich sei. Was ist Ihre Antwort?
50 Prozent der Autofahrten auf dem Land betreffen Strecken unter 10 Kilometer, 10 Prozent nutzen ihr Auto für Wege unter einem Kilometer. Wenn wir uns diese Zahlen anschauen, dann beinhaltet die verbalisierte Abhängigkeit ein gewisses Maß an Irrationalität. Ich bin überzeugt davon, dass hier Fakten nicht weiterhelfen, diese liegen längst auf dem Tisch. Wir brauchen vielmehr konkrete politische Rahmenbedingungen, um Veränderungen zu bewirken.
Woran hakt es denn heute in der politischen Gestaltung?
Im Grunde ist es mangelnde Konsequenz. Mit dem unterzeichneten Vertrag zum Pariser Klimaabkommen, haben wir ein gutes Führungsinstrument an der Hand, das wir bisher nicht konsequent anwenden. So, wie ich es beispielsweise in Österreich erlebe. Hier wird jede Baumaßnahme, jedes Stadtentwicklungsprojekt an eben diesen Umweltzielen gemessen. Trägt es nicht zur Erfüllung bei oder arbeitet gar kontraproduktiv, dann wird diese Maßnahme nicht umgesetzt. Punkt. In Deutschland entscheiden immer noch Gerichte in langwierigen Prozessen, ob Baumaßnahmen, wie die A20, umgesetzt werden. Ich erlebe in der politischen Arbeit ein Klein-Klein. Wir machen zu viele Kompromisse, anstatt einmal das Pflaster ganz abzureißen. Dann tut es eben mal weh. Doch danach haben wir die Chance, direkt Gewinne zu erfahren. Wenn wir immer nur ein bisschen umsetzen, dann ist zunächst vorrangig Verlust zu spüren, der stets die Zweifler auf den Plan ruft und den Prozess unnötig ausbremst.
Was würden Sie denn als erstes umsetzen, wenn Sie Verkehrsministerin wären?
Ich würde zuallererst einen diversen Beirat ins Leben rufen. Einen, der die Gesellschaft mit ihren vielschichtigen Persönlichkeiten und Lebensentwürfen abbildet und so die Bedürfnisse in Gänze berücksichtigt und nicht nur einen kleinen Teil. Ich würde die „Vision Zero“ verfolgen – keine Verkehrstoten mehr in Deutschland. Unter dieser Zielvorgabe würde schon eine ganze Menge passieren. Tempo 30 in den Städten, eine Priorisierung der Schwächsten, nicht der Stärksten. Ich würde in den Städten Parkraum abbauen und bepreisen. Gleichzeitig würde ich den Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, dieses auch lassen.
Ich erlebe in vielen Gesprächen, dass Klimaneutralität als Argument für die Mobilitätswende erst Gewicht bekommt, wenn in der Mobilität vier andere Kriterien erfüllt sind – nämlich Verfügbarkeit, Sicherheit, Barrierefreiheit und Bezahlbarkeit. Insofern sollten wir sämtliche Maßnahmen an eben diesen Kriterien ausrichten, da nur dann der Weg zur Klimaneutralität frei ist.
Sie wollen eine Reise zu spannenden Mobilitätsorten unternehmen. Was versprechen Sie sich davon?
Ich möchte mir konkret anschauen, was andere machen. Aus externen Impulsen und Gesprächen können wir sehr viel lernen. Ich möchte auch einfach Hoffnung schöpfen. Zu sehen, dass schon kleine Maßnahmen etwas bringen, kann uns für den weiteren Prozesse viel Kraft geben.
Warum unterstützen Sie das Mobilnetzwerk?
Ich finde es sehr wichtig, dass sich Menschen auf den Weg machen, um im Rahmen der eigenen Möglichkeiten etwas zu tun. Dieses Engagement sichtbar zu machen und es zu bündeln, dafür sind Netzwerke wie das MNW entscheidend. Unter dem zunehmenden Druck kommt Engagement zunehmend aus dem „Nerd-Status“ heraus und erfährt mehr und mehr Legitimation in unserer Gesellschaft. Ein guter und wertvoller Weg, den ich sehr gern unterstütze, indem ich Erfahrungen aus meiner Arbeit rein gebe, die im Handeln stärken können. Gerade, wenn der Gegenwind im ländlichen Raum besonders stark ist. Und manchmal tut ein bisschen Drive von außen einfach gut.
Sie sagen: Erfolg braucht eine Vision. Was ist ihre?
Dass der Raum zwischen den Häusern wieder den Menschen gehört. Ich möchte, dass der ländliche Raum wieder gesund wird. Dass Kinder wieder selbstbestimmt draußen Fahrrad fahren und spielen können. Dass sich Menschen begegnen und nicht nur in ihren Autos von A nach B fahren. Die heutigen „Schlafdörfer“ sollen wieder ein Ort mit Dorfkern und gesellschaftlichem Leben werden.
Wir haben das Glück, dass unsere Regionen mal gesund waren. Das können sie auch wieder werden.
Herzlichen Dank, Katja Diehl, für das interessante Gespräch!