Handlungskonzept (als PDF)
Die Verkehrsunfallzahlen stagnieren auf hohem Niveau. Es ist an der Zeit umzudenken und konsequent neue Lösungswege zu beschreiten, um bis 2035 die Vision einer umweltverträglichen, nachhaltigen und spürbar sichereren Mobilität in der Region zu erreichen: Dafür braucht es einen Perspektivwechsel, kreative Innovationen und ein gesamtgesellschaftliches Engagement.
Warum wir handeln müssen:
Projekte für mehr Verkehrssicherheit sind notwendig. Die Auswertung der Unfallzahlen aus den Jahren 2011 bis 2017 zeichnet ein eindeutiges und leider ernüchterndes Bild:
- Fast 100 Unfälle passieren pro Tag in der Region Hannover. Das sind vier Unfälle pro Stunde.
- 2018 gab es in der Region 30 Getötete bei Verkehrsunfällen.
- Dazu kommen über 615 Schwerverletzte bei Verkehrsunfällen.
- Insgesamt haben sich jährlich mehr als 33.000 Verkehrsunfälle in der Region ereignet.
Und die Zahlen stagnieren auf hohem Niveau. Die Entwicklung ist zudem unabhängig von der Ortslage (innerorts/außerorts) zu erkennen. Es ist ein flächendeckendes Problem: Unfälle mit getöteten und schwerverletzten Personen gibt es im gesamten Gebiet der Region Hannover.
Was wir anders machen:
Wir brauchen den Perspektivwechsel. Das gesamte Handlungskonzept des Mobilnetzwerks basiert darauf, nicht in einzelne Maßnahmen – sondern zuallererst bestehende Perspektiven zu hinterfragen:
Gesamtgesellschaftliches Netzwerk:
Bisher ist Verkehrssicherheit ein Fachthema. Das wollen wir ändern: Wir sehen die Aufgabe als einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag und schaffen daher ein Mobilnetzwerk, das die klassischen Akteurinnen und Akteure wie Verkehrswacht, Polizei oder Baudezernat zusammen bringt mit Partnern aus Kultur, Wirtschaft und Kreativszene.
Agieren statt reagieren:
Das Wissen um sinnvolle bauliche Veränderungen ist vielfach vorhanden. Aber die Umsetzung geschieht in der Regel erst dann, wenn Unfälle bereits passiert sind. Wir wollen nicht warten, sondern aktiv den Verkehrsraum umgestalten.
Priorisierung:
Es gilt, die Prioritäten klar zu setzen: Die Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmenden hat erste Priorität in der Planung. Zu Fuß Gehende, Radfahrende, Kinder und mobilitätseingeschränkte Menschen werden bei der Planung besonders berücksichtigt und vorrangig gegenüber dem motorisierten Verkehr behandelt.
Wie wir handeln:
Um die Vision bis 2035 zu erreichen, haben wir ein Konzept entwickelt, das auf drei Ebenen konkrete Maßnahmen mit dem Anspruch an eine lebensfreundlichere Mobilität verbindet.
1. Vier Handlungsfelder
Aus der Verkehrsunfallanalyse lassen sich Handlungsfelder ableiten, die besonders relevant sind, um eine Verbesserung der Verkehrssicherheit für die Region Hannover zu erreichen. An diesen Stellen werden wir mit ansetzen, um eine größtmögliche Wirkung mit unseren Maßnahmen erreichen zu können.
Kreuzungen innerorts
Fahren Geister in die falsche Richtung?*
Das Handlungsfeld umfasst innerstädtische Kreuzungssituationen, bei denen Unfälle häufig aufgrund von Vorfahrtsmissachtungen passieren. Zu Fuß Gehende und Radfahrende sind in den meisten Fällen im Seitenraum unterwegs und werden von abbiegenden bzw. kreuzenden Kfz erfasst.
*Pro Jahr gibt es in der Region Hannover ungefähr 400 Unfälle auf Radwegen, bei denen Radfahrende legal oder illegal in Geisterrichtung unterwegs waren.
Streckenunfälle außerorts
Fallen Bäume um, wenn man nicht hinsieht?*
Zu diesem Handlungsfeld gehören beispielsweise die Baumunfälle entlang von Alleestraßen in der Region, aber auch Auffahrunfälle an Kreuzungen oder am Stauende. Die hier betrachteten Unfallsituationen sind oft Alleinunfälle, also ohne Beteiligung weiterer Verkehrsteilnehmender.
*Ja. Pro Jahr gibt es in der Region Hannover mehr als 200 Verunglückte durch den Anprall gegen einen Baum.
ÖPNV-Unfälle
Wie viele Unfälle sind ein Tag?*
Unfälle, die im Umfeld des öffentlichen Nahverkehrs passieren machen zwar nur einen geringen Anteil an allen Unfällen mit Personenschaden aus, sie sind jedoch aufgrund der sehr schweren Unfallfolgen ein relevantes Handlungsfeld. Das Handlungsfeld thematisiert insbesondere die Problematik des falschen Verhaltens beim Überschreiten der Gleiskörper.
*Fast jeden Tag kommt es in der Region Hannover zu einem Verkehrsunfall mit Beteiligung von Straßenbahn, Eisenbahn oder Bus. Ungefähr die Hälfte hat einen schweren Personenschaden zur Folge.
Verhalten
Ist Kontrolle alles?*
In diesem Handlungsfeld nehmen wir Fehlverhalten in den Fokus, wie das Fahren unter Alkoholeinfluss oder mit erhöhter, nicht angepasster Geschwindigkeit, ebenso das richtige Ansprechen der Öffentlichkeit oder bestimmter Zielgruppen, um eine möglichst breite Bewusstseinsschärfung zu erreichen. Hier sollen explizit neue kreative Ideen und Handlungsansätze erarbeitet werden.
*Trotz Kontrollen gibt es mehr als 30 Verkehrsunfälle je 1000 Einwohner*innen der Region Hannover.
2. Übergreifende Maßnahmen
Die Maßnahmen in den vier Handlungsfeldern ergänzen wir durch grundlegende Investitionen zur Stärkung der Verkehrssicherheit:
- Wissenstransfer über das Mobilnetzwerk schaffen
- Verstärkt auf neue Technologien setzen
- Bildungsangebote ausbauen
- Sicherheitsaudits einführen
- Arbeit der Unfallkommission unterstützen
- Regionalen Gefahrenatlas etablieren
- Unfallzahlen zugänglich machen
3. Modellprojekte
In den Modellprojekten entwickeln und erproben wir gemeinsam mit dem Mobilnetzwerk innovative Konzepte für eine umweltverträgliche, nachhaltige und sichere Mobilität.
Modellprojekt: Die Ideale Kreuzung
Wir entwickeln ein konkretes Konzept für eine ideale Kreuzung, mit dem Fokus auf Verkehrssicherheit und die Stärkung von zu Fuß Gehenden und Radfahrenden im Straßenraum.
Modellprojekt: Kinder
Wir entwickeln ein Beteiligungsformat für Kinder als besondere Gruppe der Verkehrsteilnehmenden.
Modellprojekt: Datenverknüpfung
Wir bringen Akteure und Akteurinnen, die über Daten verfügen, an einen Tisch, mit dem Ziel, verschiedene Quellen und Plattformen zu verknüpfen und die Daten neu zu nutzen.
Modellprojekt: Perspektivwechsel
Wir entwickeln Konzepte für Kommunikationsmaßnahmen im öffentlichen Raum, die zum Perspektivwechsel einladen.
Das gesamte Handlungskonzept des Mobilnetzwerk basiert auf der detaillierten Analyse der Unfalldaten der Region Hannover sowie weiteren Datenquellen und Evaluationen.
Stadt und Land: Allgemeine Unfalldaten
Fast 60 % aller Verunglückten wurden bei Unfällen im Stadtgebiet von Hannover verletzt. Weitere 20% der Verunglückten in den unmittelbar angrenzenden Kommunen. Die Unfälle mit getöteten und schwerverletzten Personen ereignen sich hingegen oft im ländlichen Raum. Dabei liegt eine weitgehend flächige Verteilung über das gesamte Gebiet der Region Hannover vor.
Gefahrensituationen
Es wurden Detailanalysen zu verschiedenen Unfallarten und -charakteristika ausgewertet und aus den Ergebnissen wesentliche Handlungsfelder umrissen, die sich in vielen Fällen überlagern.
Kfz-Streckenunfälle
Schwere Unfälle mit Getöteten und Schwerverletzten. Überdurchschnittlich häufig am Wochenende sowie in den Abendstunden. Hohe Bedeutung der Alleinunfälle und der Baumunfälle.
Vorfahrtsmissachtungen zwischen Kfz
Jeweils die Hälfte der Unfälle im Stadtgebiet Hannover und im Umland. 80% dieser Unfälle passieren innerorts. Insbesondere Unfalltyp Einbiegen/Kreuzen und Abbiege-Unfälle.
Vorfahrtsmissachtungen zwischen zu Fuß Gehenden/Radfahrenden und Kfz
Ca. 2/3 der Unfälle innerhalb Hannovers, 1/3 in den übrigen Kommunen der Region. 85% der Verunglückten sind Radfahrende. Hauptschuldige in den meisten Fällen die Kfz-Fahrenden.
Linksseitiger Radverkehr innerorts
Überwiegender Teil der Unfälle ereignet sich an Kreuzungen, Einmündungen, Zufahr ten und resultiert aus Konflikten zwischen abbiegenden oder kreuzenden Kfz. Unterdurchschnittliche Verunglücktenzahlen an den Wochenenden.
Fahrbahnquerung von zu Fuß Gehenden und Radfahrenden innerorts
Schwere Unfallfolgen überdurchschnittlich oft im November, Januar und Mai. Die meisten Verunglückten sind zu Fuß Gehende, die auch schwerer verunglücken.
Zu Fuß Gehende/Radfahrende: Straßenbahnunfälle innerorts
Unfallorte sowohl auf freien Streckenabschnitten der Stadtbahn als auch an Haltestellen (90% in Hannover). Hauptunfallursache ist falsches Verhalten beim Überschreiten der Gleiskörper.
Ursachen und Verkehrsteilnehmergruppen
Bei einem Unfall können unterschiedliche Unfallursachen zusammenkommen und mehrere Verkehrsteilnehmergruppen beteiligt sein. Die unterschiedlichen Verkehrsteilnehmergruppen spielen in jedem Handlungsfeld eine Rolle und sind themenübergreifend zu behandeln.
Unfallursache: Alkohol
8% aller Getöteten und Schwerverletzten in der Region verunglücken bei Unfällen, bei denen Alkohol eine Rolle gespielt hat. 80% dieser Unfälle passieren innerorts. Deutliche Konzentration auf das Wochenende, überwiegend abends und nachts. Das Handlungsfeld betrifft alle Verkehrsteilnehmende und Verkehrsarten; besondere Relevanz hat es beim Kfz- und beim Radverkehr.
Unfallursache: Geschwindigkeit
Unfälle mit Getöteten oder Schwerverletzten v.a. außerorts, sonst überwiegend innerorts Unfälle. Unfallverursacher in erster Linie Kfz-Verkehr, als Opfer betroffen sind alle Verkehrsarten.
Verkehrsteilnehmergruppe: Kinder
90% der Unfallorte liegen innerorts. Zahl der verunglückten Kinder nimmt mit dem Alter zu, überdurchschnittlich häufig verunglücken 7-11-Jährige (Jungen oft als Radfahrer, Mädchen als Fußgängerinnen).
Verkehrsteilnehmergruppe: Junge Erwachsene
Als Pkw-Fahrende häufiger Hauptverursacher und häufig bei Allein- und Fahrunfällen (Unfallursachen: v.a. nicht angepasste Geschwindigkeit und Alkohol). Unfälle mit Getöteten überwiegend im Umland und außerorts (75%).
Verkehrsteilnehmergruppe: Krad und Kfz
Unfallorte liegen überwiegend innerorts (85%). In den meisten Fällen überdurchschnittlich schwere Unfallfolgen. Hoher Anteil der Jungen Erwachsenen an Verunglückten.
Verkehrsteilnehmergruppe: Seniorinnen und Senioren
85% der Unfallorte liegen innerorts. Unfallspitze zwischen 10 bis 12 Uhr. Senioren verunglücken häufiger als Seniorinnen, letztere oft als Fußgängerinnen.