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"Wenn wir im öffentlichen Raum Regeln einhalten und Ordnung schaffen, ist schon viel gewonnen."

Ein Interview mit Susanne Findeisen, Referentin für nachhaltige Mobilität in Bremen

Wie Parkraummanagement Platz für nachhaltige Mobilität schafft, wie wir mit den verschiedenen Bedürfnissen im öffentlichen Raum umgehen und warum manche Themen einfach nicht mehr diskutiert werden sol

Redaktion: Sie sind 2017 im EU-Projekt „SUNRISE“ für das Thema „Nachhaltige Mobilität“ in Bremen angetreten. Und landen beim Parkraummanagement. Gab‘s nichts Freudvolleres?

SF (lacht): Naja, auf einer Veranstaltung wurde Parkraummanagement mal als die „Königsdisziplin der Verkehrswende“ bezeichnet. Insofern sitze ich hier an einem richtig großen Hebel.

Redaktion: Inwiefern?

SF: Nachhaltig mobil zu sein, heißt auch, dafür Platz zu haben. Sind die Flächen nicht vorhanden, wird es für Nahmobilität zu Fuß und mit dem Rad schwierig. Insbesondere, wenn es sich um enge Quartiere handelt, wie hier in Bremen. Dann kommt man um das Regeln von Parken nicht herum. Erst durch ein gutes Parkraummanagement können wir die Grundlage für nachhaltige Mobilität schaffen.

Redaktion: Diese Gestaltungsfreude werden Sie in Ihrem Projekt nicht gespürt haben … 

SF (schmunzelt): Das würde ich so nicht sagen. Es gab auch sehr viel positive Stimmen, die nachhaltige Mobilität und weniger Kfz wollen – Stimmen, die eine große Chance im Projekt gesehen haben. Im Grunde gibt es beides: Wünsche nach mehr Parkplätzen, weil ein hoher Parkdruck wahrgenommen wird. Und es gibt den Wunsch nach weniger Kfz in den Quartieren. Und wenn wir uns das Projekt konkret anschauen, dann geht es gar nicht vordergründig um den Abbau von Stellplätzen, sondern um die Durchsetzung der Parkregeln, die ohnehin schon gelten. 

Redaktion: Das klingt nach einer kommunikativen Herausforderung. Wie sind Sie das Thema angegangen?

SF: Es ging viel darum, den Fokus gerade zu rücken. Die Diskussionen laufen in der Regel sehr Auto-getrieben. Das ist nachvollziehbar, spiegelt aber nicht die Realität wider. In vielen Quartieren haben rund die Hälfte der Menschen im Quartier schlicht kein Auto. Deshalb sind da zum Großteil ganz andere Bedürfnisse, die aber oft wenig Gehör und eben auch zu wenig Raum finden. Und, ganz ehrlich: Es gibt viele Wünsche an den öffentlichen Raum, aber diese können nicht alle Platz finden. Es ist immer abzuwägen, ein Kompromiss zu finden. Und egal, welche Maßnahmen wir realisieren – übrigens auch, wenn wir gar nichts machen – es wird immer Menschen geben, die damit nicht zufrieden sind. Das müssen wir aushalten. In der Verwaltung, aber auch in der Politik.

Redaktion: Wurde das verstanden?

SF: Naja, es gab schon unterschiedliche Reaktionen. Da gab es diejenigen, die schon lange fordern, das „Blech“ aus den Straßen zu bekommen. Auch in der Bürgerbeteiligung wurde das Problem „zu viel illegales Parken, das schränkt unsere Gehwege ein“ am häufigsten genannt. Bei den Straßenrundgängen gab es dann eine Wortführerschaft von denjenigen, die eher kritisch eingestellt waren. Grundsätzlich haben wir die Erfahrung gemacht, dass diese kritischen Stimmen oft die lautesten sind, auch wenn sie in der Minderheit sind. Das müssen wir im Hinterkopf behalten. Und mal ganz unabhängig von den individuellen Bedürfnissen gibt es schlicht einen Rechtsrahmen. Wir wollen, dass die dort festgeschriebenen Regeln eingehalten werden und den „Wildwuchs“ auf den Straßen eindämmen. Vor allem ordnen wir also. In dem Rahmen verteilen wir auch Straßenraum um, richten zum Beispiel zusätzliche Fahrradabstellanlagen ein und verbessern das Carsharing-Angebot. Bewohnerparken privilegieren die Menschen, die in diesem Quartier wohnen, für das Parken auf den dann regelkonformen Parkplätzen. Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, dass diese Maßnahmen nach einer Beteiligung und Information von Bürger*innen weiterhin nicht bei allen Begeisterung hervorruft,  aber sie werden nachvollziehbar, und eine Basis für einen weiteren Dialog entsteht. Was auch hilft, ist jemandem in den Prozess zu holen, der schon von ähnlichen Erfahrungen berichten kann.

Redaktion: Mit wem haben Sie gesprochen, und was hat es gebracht?

SF: Wir haben Akteur*innen aus Köln zu einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung eingeladen. Köln ist schon seit 20 Jahren im Thema Parkraummanagement unterwegs und kann mit diesem Pfund sehr gut in den Dialog gehen. Diese Veranstaltung brachte einen wesentlichen Meinungsumschwung zum Thema bei vielen wichtigen Akteuren in der Verwaltung und Politik und damit den weiteren Umgang mit dem Thema in Bremen mit-beeinflusst hat. Unsere Maßnahmen konnten wir dann mit einem einstimmigen Stadtteilbeschlusses umsetzen  

Redaktion: Okay. Politischer Beschluss – check. Und dann? Wie kriegen Sie das Thema vor Ort umgesetzt?

SF: Die Bürger*innen an den einzelnen Maßnahmen zu beteiligen, war wichtig. Wir haben konsequent Begehungen mit Anwohner*innen vor Ort gemacht. Das brachte zwei wichtige Steine ins Rollen. Zum einen den „Wildwuchs“ vor Ort explizit zu machen. Die Menschen kennen den Anblick ihrer Straßen zwar ganz genau. Aber die Einordnung im Rahmen der Begehungen ist relevant. Jetzt wurde klar: Was konkret ist eigentlich „regelwidrig“, oder welche Gehwegbreiten braucht ein Rollstuhlfahrer? Oder auch: Fußwege müssen den „Begegnungsverkehr“ erlauben – also das Nebeneinander-Gehen. Sich das gemeinsam bewusst zu machen, bringt große Aha-Erlebnisse.

Zum anderen sammeln wir auf den Begehungen Rückmeldungen ein und stimmen die Maßnahmen darauf ab. Das heißt jedoch nicht, dass wir für alle Maßnahmen einen demokratischen Prozess bauen. Manche Themen diskutieren wir nicht, da gibt es klare Regeln.

Redaktion: Haben Sie ein Beispiel?

SF: Nehmen wir die Aussage: „Hier wohnt gar keiner mit Rollstuhl…“. Das ist jedoch nicht die Frage. Es ist ein öffentlicher Raum. Und der muss die Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen. Dazu gehört auch, Werten wie Inklusion, Teilhabe von Menschen, gerecht zu werden oder die Entscheidung zu respektieren, dass wir eine Verkehrswende wollen – und diese auch Raum braucht. 

Redaktion: Regeln einzuhalten und das durchzusetzen – wie lässt sich so etwas in einem Forschungsprojekt unterbringen? 

SF: Die Umverteilung des öffentlichen Raumes umzusetzen, einen derart drastischen Umschwung zu realisieren – das ist neu und wichtig. Wenn die Grundlagen nicht da sind, brauchen wir mit Fancy Dingen gar nicht um die Ecke zu kommen. Ja, Partizipation und Beteiligung, Dialog, Abstimmung und Kontrolle – das sind alles eher alte Instrumente. Auch die Lösungen wie Ordnen des Parkens, Bewohnerparken, Parkraumbewirtschaftung, Fahrradbügel auf den Straßen, Carsharing (die Elemente unseres Maßnahmenpakets), sind an sich keine Innovationen. Aber die erstmalige Umsetzung in dieser Form und Konsequenz, als integriertes Konzept, ist neu und ein Paradigmenwechsel. Das wurde bei unserem Fördermittelgeber, dem Horizon-2020-Programm der EU, als großer Erfolg bewertet.

Redaktion: Guter Punkt. Wo genau liegen die Erfolge bisher?

SF: Das Projekt „SUNRISE“ als Modell für d das Ordnen des Parkens und Förderung einer nachhaltigen Mobilität in Quartieren dient jetzt als Blaupause für den Rest der Stadt. Das Thema wird als relevantes Thema in der Politik wahrgenommen, wird verstanden und es gibt einen Druck zur Umsetzung.

Redaktion: Nochmal auf null. Mit den heutigen Erkenntnissen – was würden Sie das nächste Mal anders machen? 

SF (schmunzelt): Grundsätzlich gibt es am Ende von solchen neuen Prozessen ja immer einige Punkte, die man beim nächsten Mal anders machen würde. Das ist ja auch der Sinn von Modellprojekten, dass man Erfahrungen macht, etwas probiert und daraus lernt. Ein Bestandteil des Projektes war auch die Evaluation von Lösungen und Prozessen. Bei der nächsten Umsetzung werden dann Maßnahmen und Verfahren, Kommunikation etc wieder optimiert. Ein konkretes Beispiel zu Ihrer Frage: Wir wollten nett sein (den Menschen Zeit geben sich umzustellen) und haben groß und mit ordentlich zeitlichem Vorlauf angekündigt, wann die „neuen“ Regeln gelten. Wir hatten kommuniziert, wann es ernst werden wird (d.h. Strafzettel/ Abschleppen). Und zum Schluss waren alle ärgerlich. Die einen waren enttäuscht, dass es noch nicht losgeht. Die anderen wütend, dass es losgehen wird. Wieder andere waren einfach verwirrt über die unterschiedlichen Signale. Learning für uns:  Übergangslösungen in diesem Zusammenhang müssen stets sehr kurz sein.

Redaktion: Wie geht’s jetzt weiter?

SF: Wir beginnen gerade damit, die stadtweiten Prozesse aufzusetzen. Um Tempo reinzubringen, fokussieren wir uns in einem ersten Schritt auf einzelne Straßen und auf die Themen Gefahrenabwehr: Dort wo Rettungssicherheit und Barrierefreiheit eingeschränkt werden, ordnen wir das Parken kurzfristig und prioritär. In diesem Rahmen gehen wir konsequent gegen das Gehwegparken vor. Wichtig ist dabei, dass wir kommunikativ dennoch den großen Bogen spannen, heißt: Es geht uns stets um nachhaltige Mobilität in Bremen. Eine Mobilität, die Raum braucht. Das ist unser immer wiederkehrendes Argument. Und eine Klage gibt noch zusätzlich Wasser auf die Mühlen…

Redaktion: Wie bitte?

SF: Ja, Bremen wird auf freie Gehwege verklagt. Das zeigt, dass wir mit unserem Projekt SUNRISE hier auf dem wichtigen Weg waren: Wir müssen hier aktiv die Einschränkungen der Gehwege bekämpfen und die Mobilität für alle verbessern. 

Redaktion: Was würden Sie denn den Kommunen als Empfehlung geben, die ggf. auch von einem Gerichtsurteil zum Gehwegparken betroffen wären?

SF: Dass es Kapazitäten zu Bearbeitung in der Verwaltung braucht. Das ist gerade einer der größten Bremser, um schneller mit Maßnahmen in den Quartieren voranzukommen. Und den politischen Willen, es anzugehen – auch wenn es schwer wird. Es braucht die Bereitschaft, Gegenwind auszuhalten und zwingend eine Berücksichtigung von Ressourcen im Haushalt. Denn beim Parkraummanagement sprechen wir zwar von Regelaufgaben, aber von einem riesigen Volumen. Entscheidend sind eine konsequente Kommunikation und ein ehrliches Erwartungsmanagement. Ein Erwartungsmanagement im Sinne von „wir machen nicht alle glücklich“. Wir werden mit den Lösungen, auch mit einer guten Bürgerbeteiligung, nicht alle Wünsche erfüllen.

Redaktion: Ist ein Förderprojekt das Mittel der Wahl?

SF: Klares, ja. Geförderte Modellprojekte haben einen Riesen-Vorteil: Kommunen können auf diese Weise etwas ausprobieren und sich vielleicht auch mal jenseits gewohnter Prozesse bewegen. Und wenn es gut läuft, dann gibt es ein Ergebnis, das Strahlkraft hat. Dann entstehen wertvolle Dynamiken, die sich entwickeln. Und zu dauerhaften Themen werden. Und keine Sorge: Innovativ ist ein solches Projekt allemal. 

Helfen kann ein Austausch mit anderen Partnern in Konsortien, insbesondere zu den Themen Bürgerbeteiligung und Akzeptanz oder auch zu Fragen einer wirksamen Kommunikation. 

Redaktion: Wie können Netzwerke wie das Mobilnetzwerk auf diesem Weg unterstützen?

SF: Die frohe Kunde verbreiten! Im Ernst. Positive Zielbilder können wir nicht oft genug zeichnen. Sich hinter starken Visionen zu vereinen, sich auszutauschen, Erfahrungen zu teilen und sich gegenseitig zu stärken – genau dafür sind Netzwerke da.

Vielen Dank für das spannende Gespräch, Susanne Findeisen!

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